Gender in EU-Projekten und EU-Anträgen
Das Thema “Gender“ wird in EU-Forschungs- und Innovationsprojekten noch immer unterschätzt. Als wichtiges Querschnittsthema für die EU sollte es in Anträgen und Projekten dringend berücksichtigt werden. Wir erklären warum und wie.
Im März 2019 stellte die Europäische Kommission in ihrer Publikation “She Figures 2018“ fest, dass in der EU Frauen in der Forschung nach wie vor unterrepräsentiert sind. Auch ihre Arbeitsbedingungen sind andere: 2016 verdienten Forscherinnen in der EU im Durchschnitt 17 % weniger als ihre männlichen Kollegen. Aber auch inhaltlich kommen Frauen in der Forschung seltener vor. Die Geschlechterdatenlücke (“Gender Data Gap“) macht das deutlich: Es gibt grundsätzlich mehr Studien und Daten zu Männern als zu Frauen. In manchen Bereichen ist das unproblematisch, in anderen geht es aber um potentiell lebensbedrohliche Auswirkungen. Autos und ihre Sicherheitskonzepte wurden beispielsweise in den vergangenen 60 Jahren auf die männliche Anatomie abgestimmt. Die Folge: Frauen sterben bei Verkehrsunfällen zu 17 % wahrscheinlicher als Männer, weil sie im Auto weniger gut geschützt sind. Das Risiko einer schweren Verletzung liegt bei Frauen um 47 % höher, das einer leichten sogar um 71 %.
Chancengleichheit in der EU: Forschung von Frauen für und über Frauen
Seit 2012 ist die „Gleichstellung der Geschlechter und Berücksichtigung des Gleichstellungsaspektes in der Forschung“ eine der fünf Prioritäten der EU zur Entwicklung des Europäischen Forschungsraums. Das Forschungsrahmenprogramm „Horizon 2020“ betrachtet die Geschlechtergleichstellung als Teil verantwortungsvoller Forschung und Innovation. Geschlecht meint hier biologische Unterschiede (“Sex“) und soziologische Unterschiede (“Gender“) gleichermaßen. Bei der Ausarbeitung Ihres Antrags ist es wichtig, die Gleichstellung der Geschlechter sowohl bei der Personalplanung (“Gender Balance“) als auch auf inhaltlicher Ebene (“Gender Dimension“) zu beachten.
„Entscheidend ist, dass man als Antragsteller den Unterschied zwischen 'Gender Dimension' und 'Gender Balance' kennt“, sagt Carolin Schuback, die als wissenschaftliche Referentin für Umwelt, Energie und Bioökonomie bei der BayFOR Antragsteller berät. „Bei der 'Gender Dimension' geht es immer darum, ob und wie sich die Forschung unterschiedlich auf die Geschlechter auswirkt. Hier geht es nicht um die 'Gender Balance' im Konsortium. Die Unterscheidung ist den Antragstellern häufig nicht klar. Im Kapitel 'Excellence' wird oft fälschlicherweise beschrieben, wie viele Frauen im Konsortium sind und dass man sich bemühen wird bei gleicher Qualifikation möglichst Frauen einzustellen. Dieser Punkt müsste aber, wenn relevant, im Kapitel 'Implementation' genannt werden.“
Achten Sie bei Ihrem Projekt auf das geschlechtliche Gleichgewicht in den Forschungsteams und Führungspositionen. Auf allen Ebenen der Entscheidungsfindung (Kommissionen, Gremien etc.) gilt die 40-Prozent-Zielmarke für das unterrepräsentierte Geschlecht, für Beratungsgruppen die 50-Prozent-Zielmarke. In Entscheidungsgremien empfiehlt es sich, mindestens eine Wissenschaftlerin oder einen Wissenschaftler mit Genderexpertise mit einzubeziehen. Sie können auch „Gender Trainings“ mit den Forschern durchführen und die Kosten dafür als direkte Kosten abrechnen.
Analysieren und berücksichtigen Sie mögliche biologische und soziologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen bzw. Jungen und Mädchen im Forschungs- und Innovationsgehalt Ihres Projekts. Sollten Sie zuerst mehr über die Geschlechterdimension Ihres Projekts herausfinden müssen, können Sie diese Studien als direkte Kosten einplanen und abrechnen.
Auf der inhaltlichen Ebene des Projekts empfiehlt sich, neben Gender-Aspekten auch die Belange der so genannten “vulnerable groups“ wie z. B. Kinder, Sehbehinderte, ältere Menschen, bestimmte religiöse Gemeinschaften usw. mit zu berücksichtigen.